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Drohendes Scheitern des institutionellen Rahmenvertrages: Auswirkungen für das schweizerische Gesundheitswesen

Die Gespräche zwischen der Europäischen Union und der Schweiz über das institutionelle Rahmenabkommen stehen vor dem Scheitern. Was sind die Folgen für das Schweizer Gesundheitswesen, falls die Gespräche scheitern? Welches sind die Auswirkungen auf Medizinprodukte, und welche Auswege gibt es, um absehbare Versorgungsengpässe zu vermeiden?

14.03.2021 Matthias Stauffacher  •   Dr. Christoph Willi, LL.M.

Wie in der Tagespresse berichtet, haben vergangene Woche die Schweizer Chefunterhändlerin Livia Leu und Stéphanie Riso, die stellvertretende Stabschefin der EU-Kommissions-Präsidentin, per Videokonferenz über Nachbesserungen beim institutionellen Rahmenabkommen gesprochen. Teilgenommen hat auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das auch für die Nachführung des bilateralen Abkommens über die Beseitigung von technischen Handelshemmnissen zuständig ist.

Es könnte das letzte Gespräch gewesen sein. Zwar ist von den Gesprächen bis anhin wenig an die Öffentlichkeit gedrungen. Beiden Seiten ist klar, dass es sich um den letzten Versuch handelt, das Rahmenabkommen zu retten. Dies bedingt Vertraulichkeit. Einem Sprecher des Aussendepartements war lediglich zu entnehmen, die Schweiz und die EU würden die Gespräche fortsetzen – was immer das auch heissen mag.

Trotz aller Vertraulichkeit hat sich bei den involvierten Departementen in Bern, aber auch in Diplomatenkreisen von EU-Mitgliedstaaten zusehends die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein Übungsabbruch am wahrscheinlichsten ist. Die Differenzen sind zu gross, als dass eine baldige Lösung wahrscheinlich ist. Der Bundesrat hat erklärt, dass er das Rahmenabkommen nur ratifizieren will, wenn in den Bereichen staatliche Beihilfen, Lohnschutz sowie Unionsbürgerrichtlinie eine zufriedenstellende Lösung erzielt werden kann. Präzisierungen oder komplizierte juristische Zusatzerklärungen, die Raum für Interpretationen lassen, sollen nicht genügen. Demgegenüber betrachtet die Europäische Kommission das Rahmenabkommen als fertig verhandelt – und will es weder im Geist noch im Buchstaben anpassen.

Um den Druck auf die Schweiz zu erhöhen, hat die EU-Kommission die Nachführung bestehender Abkommen von Fortschritten beim Rahmenvertrag abhängig gemacht. Insbesondere hat sie die Verhandlungen über die Aktualisierung des Abkommens über die technischen Handelshemmnisse auf Eis gelegt. Eine Anpassung dieses Abkommens wäre aber erforderlich, damit für Medizinprodukte auch nach dem 26. Mai 2021 weiterhin der freie Marktzugang gelten kann.

Auswirkungen auf Medizinprodukte

Am 26. Mai 2021 wird für die Europäische Union eine neue Medizinprodukteregulierung (Medical Device Regulation, MDR) zur Anwendung kommen. Mit Blick auf die europäische Rechtsentwicklung hat die Schweiz ihre Medizinproduktegesetzgebung ebenfalls revidiert und will diese gleich wie die Europäische Union auf den 26. Mai 2021 in Kraft setzen. Mit den von ihr vorgenommenen Anpassungen ging die Schweiz davon aus, dass für Medizinprodukte der gegenseitige Marktzugang im bisherigen Umfang erhalten bleibt und die Europäische Union Hand dazu bieten werde, das für Medizinprodukte geltende Mutual Recognition Agreement (MRA) auf dem Verhandlungsweg nachzuführen. Aufgrund der Differenzen über das institutionelle Rahmenabkommen soll es dazu aber nicht kommen.

Sollte in den verbleibenden Wochen kein Kompromiss gefunden werden, ist der gegenseitige Marktzugang nicht mehr gewährleistet. Damit unterliegen Medizinprodukte aus der Europäischen Union den gleichen Anforderungen wie Importe aus der Übersee und sind einem aufwändigen administrativen Mehraufwand unterworfen. Aufgrund der damit verbundenen Verteuerung befürchten Industriekenner, dass ausländische Hersteller und Importeure darauf verzichten könnten, ihre Produkte in der Schweiz erhältlich zu machen. Branchenverbände warnen bereits vor ernstlichen Versorgungslücken.

Die inhaltlich an die neue Medizinprodukteregulierung der Europäischen Union angepasste, von der Schweiz aber in der Erwartung auf ein funktionsfähiges MRA erlassene Medizinprodukteverordnung lässt Einfuhren aus Drittstaaten nur zu, soweit der ausländische Hersteller einen Bevollmächtigten in der Schweiz bezeichnet hat.

Nach dem für die MDR geltenden und von der Schweiz übernommenen Konzept vertritt der Bevollmächtigte den ausländischen Hersteller gegenüber den schweizerischen Behörden. Er übernimmt die ihm obliegenden Verantwortlichkeiten und Risiken und haftet solidarisch für allfällige Produktefehler. Das Vorhandensein eines inländischen Bevollmächtigens ist folglich von zentraler Bedeutung für die Sicherheit und Überwachung von Medizinprodukten.

Die Pflicht zur Bezeichnung eines inländischen Bevollmächtigten gilt für alle ausländischen Hersteller, unerheblich ob sie ihren Sitz in der Europäischen Union oder in der Übersee haben. Zweck des MRA wäre es gerade gewesen, die Pflicht zur Bezeichnung eines schweizerischen Bevollmächtigten zu erlassen, soweit der Hersteller seinen Sitz in einem EU-Mitgliedstaat hat. Kommt es nicht zur Anpassung des MRA, sind auch europäische Hersteller zur Bezeichnung eines schweizerischen Vertreters verpflichtet. Ohne Abschluss eines schriftlichen Vertrages mit einem Schweizer Bevollmächtigten dürfen Medizinprodukte nicht in die Schweiz eingeführt werden. Wer Medizinprodukte in die Schweiz einführt, ohne dass der Hersteller einen Bevollmächtigten in der Schweiz ernannt hat, kann strafrechtlich sanktioniert werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Einfuhr mit oder ohne Zustimmung des Herstellers erfolgt.

Gibt es einen Ausweg?

Der letzte Akt ist noch nicht geschrieben. Offen ist insbesondere die Frage, ob der Bundesrat im letzten Moment nicht doch noch Änderungen an den Übergangsbestimmungen vornehmen wird. Dadurch könnte den Marktteilnehmern mehr Zeit eingeräumt werden, um sich auf die neue Situation einzustellen, was insbesondere für die Benennung des Bevollmächtigten für die Schweiz von Bedeutung ist. Dies alles ändert jedoch nichts daran, dass sich die Marktteilnehmer auf die verschiedenen Eventualitäten vorbereiten und Lösungen für die anstehenden Probleme finden müssen.

Auch Swissmedic ist sich der Notwendigkeit von Anpassungen bewusst. Auf entsprechende Anfrage erklärt die für die Aufsicht über Medizinprodukte zuständige Bundesbehörde sybillinisch:

«im Moment ist es noch nicht ganz klar, wie die rechtliche Medizinprodukte-Situation am 26. Mai 2021 aussehen wird. Was sicher verbindlich sein wird, ist die dann gültige MepV Version.»

Sollte kein Ausweg gefunden werden, so gibt es in der Schweiz nur Verlierer

Der zusätzliche administrative Aufwand muss bezahlt werden – letztendlich vom Schweizer Gesundheitswesen. Oder Medizinprodukte werden in der Schweiz nicht mehr erhältlich gemacht. Dann fehlen diese in der Behandlung von Schweizer Patientinnen und Patienten. Dies betrifft auch die in der Pandemie gegenwärtig so dringend benötigte Produkte wie medizinische Gesichtsmasken oder Beatmungsgeräte.

Die neue Regulierung bringt zusätzlichen bürokratischen Aufwand, der den Patientinnen und Patienten keine zusätzliche Sicherheit bringt. Im Gegenteil, zusätzliche und unnötige Aufgaben halten Marktteilnehmer und Behörden davon ab, ihre eigentlichen Pflichten zu erfüllen. Die rechtskonforme Umsetzung der neuen Medizinprodukteverordnung ist schon jetzt mehr als herausfordernd.

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