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Pharmaceuticals and healthcare

Medizinprodukte: Droht ein Versorgungsengpass? Wie können Leistungserbringer sich davor schützen?

In unserem Q&A erläutern wir die Hintergründe des drohenden Versorgungsengpasses und wie Spitäler und andere medizinische Leistungserbringer vorgehen müssen, um die Bestimmung über den Direktimport praktisch umzusetzen.

25.11.2021 Matthias Stauffacher  •   Andrea Waditschatka

Am 26. Mai 2021 hat die EU-Kommission erklärt, dass sie das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse (Mutual Recognition Agreement, MRA) mit der Schweiz nicht aktualisieren werde. Von diesem Entscheid betroffen sind Medizinprodukte und die Versorgung in der Schweiz. Der Entscheid hat auch Auswirkungen auf medizinische Leistungserbringer in der Schweiz, welche Medizinprodukte benötigen, um ihre Patientinnen und Patienten zu behandeln oder medizinische Analysen durchzuführen. Davon betroffen sind Spitäler, Pflegeheime, medizinische Laboratorien und Arztpraxen gleichermassen. Ein Ausweg stellt der Direktimport dar. Dieser beruht auf einer gesetzlichen Bestimmung, die der Bundesrat erlassen hat, um Versorgungsengpässe zu vermeiden.

« Wer als Fachperson ein Produkt aus dem Ausland, ohne es in Verkehr zu bringen, direkt anwendet, ist für die Konformität des Produkts verantwortlich »

Art. 70 Abs. 1 der Medizinprodukteverordnung (MepV)

Sie erlaubt es medizinischen Leistungserbringern, die für ihre Berufsausübung benötigten Medizinprodukte im Ausland zu beschaffen.

Welche zusätzlichen Pflichten sind für EU-Medizinprodukte zu erfüllen, die nach dem 26. Mai 2021 in die Schweiz eingeführt werden?

Aufgrund der verweigerten Aktualisierung des MRA dürfen EU-Medizinprodukte nur noch in die Schweiz eingeführt werden, wenn der ausländische Hersteller einen Bevollmächtigten (CH-REP) mit Sitz in der Schweiz bezeichnet hat und die Produkte mit dem Namen des Bevollmächtigten und des Importeurs gekennzeichnet sind. Diese Pflichten sind neu und waren bisher für EU-Medizinprodukte nicht notwendig. Die Erfüllung dieser zusätzlichen Pflichten ist mit zusätzlichen Kosten verbunden.

Was sind die Auswirkungen dieser zusätzlichen Pflichten auf die ausländischen Hersteller?

Der Schweizer Medizintechnikverband Swissmedtech befürchtet, dass viele EU-Hersteller und EU-Lieferanten auf die Belieferung von Schweizer Kunden verzichten, wenn sich diese zusätzlichen Kosten nicht mehr rechtfertigen können. Stellen ausländische Hersteller die Versorgung des Schweizer Marktes ein, so werden Schweizer Händler nicht mehr in der Lage sein, ihre inländischen Kunden mit sämtlichen Medizinprodukten zu versorgen.

Was geschieht, wenn der ausländische Hersteller keinen Bevollmächtigten (CH-REP) ernennt?

Spätestens bis Mitte 2022 müssen ausländische Hersteller für ihre Medizinprodukte einen in der Schweiz niedergelassenen Bevollmächtigten bezeichnet haben. Nach Ablauf der Übergangsfrist dürfen Medizinprodukte nicht mehr an Schweizer Händler ausgeliefert werden, falls der ausländische Hersteller keinen Schweizer Bevollmächtigten benannt hat. Ist das Produkt in der Schweiz nicht mehr verfügbar, können Schweizer Händler ihre Kunden, einschliesslich Spitäler und andere medizinische Leistungserbringer, damit nicht mehr beliefern.

Warum braucht es einen Schweizer Bevollmächtigten (CH-REP)?

Der Bevollmächtigte ist Ansprechperson für Swissmedic. Er ist gegenüber Swissmedic zur Erfüllung der dem ausländischen Hersteller obliegenden Pflichten verantwortlich, beispielsweise für die Erfüllung der Meldepflichten. Dies ist umso wichtiger, als Swissmedic keinen Zugang mehr hat zum europäischen Behördennetzwerk und der europäischen Sicherheitsdatenbank (EUDAMED). Der Bevollmächtigte leistet deshalb einen wichtigen Beitrag, um die Marktüberwachung in der Schweiz zu gewährleisten, indem er den ausländischen Hersteller gegenüber den Behörden vertritt.

Warum ist die Bezeichnung eines Schweizer Bevollmächtigten mit zusätzlichen Kosten verbunden?

Um sicherzustellen, dass der Bevollmächtigte in der Lage ist, seine Aufgaben korrekt zu erfüllen, muss er über eine Person verfügen, welche die regulatorische Verantwortung wahrnimmt und für deren Einhaltung auch strafrechtlich verantwortlich ist. Diese Person muss über das erforderliche Fachwissen verfügen und mindestens ein Jahr Berufserfahrung in Regulierungsfragen oder Qualitätsmanagementsystemen im Zusammenhang mit Medizinprodukten haben. Entsprechend seiner Natur als Stellvertreter des ausländischen Herstellers haftet der Schweizer Bevollmächtigte mit diesem solidarisch für allfällige Produktefehler. Bisher waren Haftpflichtversicherungen zurückhaltend, die Tätigkeit des Schweizer Bevollmächtigten überhaupt zu versichern. Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung ist jedoch unerlässlich, damit ein Unternehmen überhaupt bereit ist, diese Tätigkeit auszuüben und die damit verbundenen Risiken einzugehen. Aufgrund dieser zusätzlichen Verantwortlichkeiten unterscheidet sich die Tätigkeit des Bevollmächtigten wesentlich von derjenigen eines Importeurs, der diesen zusätzlichen Pflichten nicht unterliegt.

Welche Massnahmen hat der Bundesrat ergriffen, um Engpässe in der medizinischen Versorgung zu vermeiden?

Um die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten hat der Bundesrat die Übergangsfristen verlängert. In Abhängigkeit von der Risikoklasse gelten unterschiedliche Übergangsfristen für die Benennung eines Bevollmächtigten bis spätestens Mitte 2022. Als zusätzliche Massnahme hat er die von EU-Stellen ausgestellten Konformitätsbescheinigungen einseitig anerkannt. Diese Massnahmen sind nur von beschränkter Wirkung. Sie ändern nichts an der grundsätzlichen Pflicht zur Benennung eines Schweizer Bevollmächtigten.

Wann werden die Auswirkungen spürbar werden?

Aufgrund der Übergangsfristen sind die Auswirkungen nicht sofort spürbar. Die Übergangsfristen sind abhängig von der Risikogruppe. Für Produkte der Klasse III gilt eine Übergangsfrist bis am 31. Dezember 2021. Dabei handelt es sich um Produkte geringer Stückzahl, aber mit hoher Marge, welche einen höheren administrativen Aufwand rechtfertigen. Für Produkte der Klasse II gilt eine Übergangsfrist bis am 31. März 2022 und für Produkte der Klasse I bis am 31. Juli 2022. Bei den Produkten der Klasse I handelt es sich um Produkte mit hoher Stückzahl, wie beispielsweise medizinische Gesichtsmasken, Gummihandschuhe, Bandagen, Gehhilfen oder wiederverwendbare chirurgische Instrumente. Aufgrund der tieferen Marge besteht die Gefahr, dass sich der zusätzliche administrative Aufwand nicht mehr rechtfertigt und ausländische Lieferanten auf die Versorgung des Schweizer Marktes verzichten werden. In diesem Fall werden Schweizer Händler nicht mehr in der Lage sein, ihre Kunden mit Medizinprodukten zu versorgen, die in der EU hergestellt wurden.

Was können medizinische Leistungserbringer tun, um einen Versorgungsengpass zu vermeiden?

Die Medizinprodukteverordnung (MepV) Streichenberg 4/6 erlaubt es Fachpersonen, die von ihnen zur beruflichen Anwendung benötigten Medizinprodukte im Ausland zu beschaffen. Entsprechendes gilt auch für die berufsmässigen Anwenderinnen und Anwender von In-Vitro Diagnostika.

Ist das legal?

Die Anwendung von im Ausland direkt beschafften Medizinprodukten oder In-Vitro Diagnostika beruht auf einer klaren gesetzlichen Grundlage in der MepV*. Das Vorgehen ist deshalb rechtmässig, soweit die in der MepV genannten Anforderungen eingehalten werden. Namentlich ist die Anwendung auf Fachpersonen oder berufsmässige Anwender beschränkt. Die Medizinprodukte dürfen nicht an Patientinnen oder Patienten verkauft oder zur Anwendung abgegeben werden. 

Warum erwähnt die Bestimmung nicht explizit, dass Fachpersonen ausländische Medizinprodukte in die Schweiz einführen dürfen?

Die Bestimmung regelt die Sorgfaltspflichten von Fachpersonen und berufsmässigen Anwendern, wenn sie importierte Medizinprodukte in der Schweiz anwenden. Dazu gehört die Verantwortung für die Konformität. Dass Fachpersonen und berufsmässige Anwender Medizinprodukte in die Schweiz einführen dürfen, wird stillschweigend vorausgesetzt. Unerheblich ist, ob die Fachperson bzw. der berufsmässige Anwender die Medizinprodukte selber oder im Namen und Auftrag von einem Dritten in die Schweiz einführt.

Wie ist vorzugehen?

Zum Direktimport berechtigt sind Fachperson oder berufsmässige Anwender. Für die Abwicklung der logistischen Aufgaben dürfen diese die Unterstützung von Dritten in Anspruch nehmen, soweit diese in ihrem Namen und Auftrag tätig sind. Beispielsweise darf die Einkaufsabteilung eines Spitals die von den Ärzten benötigten Implantate bestellen, bei der Auslieferung kontrollieren und an Lager nehmen.

Was ist beim Direktimport zu beachten?

Der Direktimport ist auf Produkte beschränkt, die direkt an der Patientin oder am Patienten angewendet werden. Die Produkte dürfen nicht zum Gebrauch an Patientinnen oder Patienten verkauft oder abgegeben werden.

Welche Pflichten sind mit der Verantwortung für die Konformität verbunden?

Die Fachperson ist für die Konformität verantwortlich. Bei Medizinprodukten, die im EU-Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden, ist die Konformität gewährleistet und die Schweiz anerkennt die Zertifikate von einer europäischen Benannten Stelle ("Notified Body"). Um die Verantwortung für die Konformität zu erfüllen, genügt es deshalb, wenn die Fachperson prüft, ob für das Produkt eine Konformitätserklärung sowie ein Zertifikat vorliegt und sich eine Kopie davon vorlegen lässt.

Wer haftet für die eingeführten Produkte?

Nach dem Bundesgesetz über die Produktehaftpflicht haftet der Hersteller für allfällige Schäden, die durch ein fehlerhaftes Produkt entstanden sind. Importeure, Händler oder Anwender (medizinische Leistungserbringer, u.a. Spital, Ärzte) können auf ihre Lieferanten Rückgriff nehmen. Davon ausgenommen ist die Haftung für Fehler, die auf ein nicht sachgemässes Verhalten zurückzuführen sind, beispielsweise wenn die Vorschriften des Herstellers bei der Wartung, der Lagerung oder der Reinigung nicht eingehalten werden.

Ist die Beschaffung im Ausland mit Mehraufwand verbunden?

Mit der Beschaffung im Ausland müssen Fachpersonen die Produkte evaluieren und bei der Auslieferung auf Mängel prüfen. Letztlich handelt es sich dabei um Pflichten, die ihnen auch beim Bezug von einem Schweizer Händler anfallen. Insoweit sind diese Pflichten nicht wirklich neu. In der Regel ist es der Lieferant, der die Logistik, Spedition und Zollabfertigung organisiert. Auch diesbezüglich fallen also keine zusätzlichen Aufwendungen an.

Was können Schweizer Händler tun, welche mit Produkten nicht mehr beliefert werden?

Schweizer Händler können Fachpersonen und berufsmässige Anwenderinnen und Anwender im Kauf ausländischer Medizinprodukte unterstützen und logistische Aufgaben für diese übernehmen. Das ist immer noch besser als gar nichts, wenn das Produkt im Handel nicht mehr erhältlich ist.

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